Montag, 15. Februar 2021, Tag nach Valentinstag um 12:47 Uhr: Vor wenigen Sekunden landete in meinem Posteingang eine neue E-Mail. Im Betreff steht „Willkommen, scenario!“ Ich solle auf den Link klicken, um meine Registrierung zu bestätigen. Der Benutzername scenario kommt von einer Username-Generator-Website. Ich wollte nicht, dass andere Benutzer über mein sonst genutztes Pseudonym auf meinen SocialMedia-Accounts landen könnten.
Inhaltsverzeichnis
Die Plattform: DBNA – Du bist nicht allein!
Die Website, bei der ich mich da registriert habe, heißt DBNA. Es ist das Akronym für Du bist nicht allein! Vielleicht denkst du auch zunächst an eine Selbsthilfegruppe; teilweise trifft das schon zu, aber DBNA beschreibt sich selbst als „die App für queere Jungs“. Wer bei DBNA angemeldet ist, versteht sich selbst als schwuler oder bisexueller Jugendlicher oder junger Erwachsener. Das Besondere an DBNA ist das Alter der Nutzer. Die Jüngsten sind 14 Jahre alt, während die Ältesten 29 Jahre und 364 Tage sein dürfen. Pünktlich zum 30. Geburtstag wird der Account gelöscht. Ich bin jetzt 21 Jahre alt, Halbzeit für mein DBNA-Account, doch als ich mich Anfang Juli einloggen wollte, klappte das nicht mehr: Login fehlgeschlagen. Bitte versuche es später erneut.
DBNA zieht sich selbst den Stecker
Leider war das kein Einzelfall. So wie mir geht es auch den anderen über 140.000 Nutzern. Nach über 27 Jahren war’s das mit DBNA. Davon übrig-geblieben ist die Standard-Meldung vom Internetdienstleister Cloudflare, dass die Website dbna.com nicht erreicht werden kann. Durch einen Blog-Beitrag wird klar: DBNA hat sich selbst den Stecker gezogen. Die Kosten, der technische Aufwand und die rechtlichen Anforderungen an eine Community-Plattform können nicht mehr bewältigt werden. Unberührt davon sollte das DBNA-Magazin sein, doch auch das ist jetzt weg.
DBNA geht: Und jetzt?
Ich werde DBNA nicht hinterhertrauen. Das wäre scheinheilig, wo ich zuletzt immer inaktiver wurde. Außerdem steht mir als volljährige Person nun jede andere Online-Plattform und App offen. Ich möchte mich bei dem kleinen Team aus Menschen, die motiviert waren, die Welt ein wenig besser zu machen, bedanken. Ohne DBNA wäre ich in meiner queeren Identität noch nicht dort, wo ich heute bin.
Zu den freiwilligen Profilangaben zählte die Orientierung und der Coming-Out-Status. Bei meiner Registrierung vor über drei Jahren war ich noch ungeoutet und bei Orientierung habe ich mich für unsicher entschieden. Viele Monate lang hatte ich nicht einmal ein Profilbild. Dennoch: Auf der Plattform bin ich erstmals mit anderen queeren Menschen in meiner Region in Kontakt gekommen. Durch DBNA hatte ich mein erstes Date mit einem Jungen. Am Abend davor, das weiß ich noch, habe ich mich bei meinem besten Freund geoutet, um ihn dann als Alibi gegenüber meinen Eltern nennen zu können.
DBNA war, was wir Nutzer daraus machten
Meine Beziehung zu DBNA blieb nicht ohne Höhen und Tiefen. Obwohl die Zielgruppe eindeutig definiert ist, war die Banner-Werbung für Treppenlifte ein Running-Gag. Im „Forum“ genannten Frage-Antwort-Bereich fiel nicht nur mir ein Benutzer auf, der zu jeder Frage seinen Senf dazugeben musste und sei es nur, dass er Mal keine Ahnung hat. Sieben Tage lang konnten wir Nutzer sehen, wer das eigene Profil besucht hat und entsprechend „zurückbesuchen“. Nur einige davon waren Inkognito unterwegs „Der Benutzer hat sein Profil geparkt.“ oder hatten ihr Profil ganz gelöscht: Oh, er ist weg. Ob er jemals wieder kommt?
DBNA war nicht perfekt. Das Team hatte aber gute Ideen wie den Foto-Check, womit sich Benutzer als echt verifizieren lassen konnten oder die Beschränkung auf 14 bis 29-Jährige. Bringt bloß nichts, wenn ein vermeintlich 15-Jähriger ohne Profilbild oder sonst irgendeine relevante Information dich in der ersten Nachricht nach deiner Schwanzlänge fragt. Aber auch hier sind es wieder wir Nutzer, die jedes soziale Netzwerk mitgestalten.
DBNA in der Phase meines inneren Coming Outs
Mittlerweile stehe ich zu meiner Liebe zu Kerlen und spätestens seit meiner Co-Moderation von Ganz schön queer ist mein Coming-Out-Status wohl komplett geoutet. Das war nicht immer so. Eine queere Jugendgruppe zu besuchen oder auf einen CSD zu gehen, war für mich in der Phase meines inneren Coming Outs keine Option. Die Lösung war DBNA als das unterschwelligste Angebot, um mit Gleichgesinnten in Kontakt zu kommen; vielleicht würde ich wen wiedererkennen. Auch wenn sich DBNA nie als Dating-Plattform verstanden hat, habe ich der Website so manches Date zu verdanken, wovon eins im Nachgang etwas schmerzhaft war. Nicht, was ihr jetzt denkt …
Allerdings hier geht es nicht um mich, sondern um DBNA: Du bist nicht allein. Das waren ich und die anderen über 140.000 Nutzer keineswegs. Das Ende kam zwar unerwartet abrupt, doch ich möchte mit dir im Guten auseinandergehen.
Danke und Tschüss, DBNA!
© Leon Ebersmann