Warum noch Radio?

Am 20. Juli 1969 ging Neil Armstrong mit den Worten „Ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein großer Sprung für die Menschheit“ in die Geschichtsbücher ein. Zum ersten Mal hat ein Mensch den Mond betreten können. Kennst du auch die Hintergründe zu „Achtung, Achtung. Hier ist die Sendestelle Berlin im Vox-Haus, auf Welle 400 Meter“? Das waren die ersten Worte der ersten Radiosendung in Deutschland am 29. Oktober 1923. Hundert Jahre später ist Radio nicht mehr wegzudenken – oder etwa doch?

Am Ende wird’s das Wort – Motto der 17. Tutzinger Radiotage

Was das Radio von anderen Medienangeboten unterscheidet, ist Gegenstand der jährlichen Tutzinger Radiotage an der Akademie für politische Bildung mit Blick auf und Gelegenheit zum Schwimmen im Starnberger See. Die Referenten eines Vortrags konnten gleichzeitig Gäste eines anderen Workshops sein. Die Auftaktveranstaltung der 17. Tutzinger Radiotage mit dem Motto Am Ende wird’s das Wort hieß: Warum noch Radio?

Nachdem sich alle Teilnehmer mit Name, Beruf sowie Twitter-Handle vorgestellt hatten, betrat Schiwa Schlei die Bühne. Schlei begann ihren Vortrag mit einer Beichte. Die Fragestellung Warum noch Radio? hat sie nicht selbst zu verantworten. Dieser sei von dem Organisationsteam bestimmt worden, das sie erst danach für die Radiotage anfragte. Als Programmchefin von 1LIVE und COSMO hat sie Einblicke in zwei Hörfunksender. Beide gehören zum WDR, doch richten sich an ein anderes Publikum mit anderen Bedürfnissen.

Schleis Argumente lassen sich in zwei Gruppen einordnen; gestützt von Beispielen aus dem Redaktionsalltag der genannten WDR-Sender: Alles auf Anfang und Investition. Hört sich nach einem Widerspruch an? Das ist es und es zeigt, dass es keine allgemeingültige Antwort auf die Frage gibt, weshalb Hörer einen zufälligen Radiosender einschalten im Gegensatz zur Konkurrenz.

Seid stolz auf euch; ohne überheblich zu werden!

Laut Schiwa Schlei kann bzw. sollte jeder (Radio)Sender auf etwas stolz sein; in der Werbebranche wäre die Rede von Unique Selling Point. Die Definitionsarbeit übernimmt Schlei nicht, doch sie gibt erste Anhaltspunkte. Ein Lokalfunk kann stolz auf die Nähe zu seinen Hörern sein, während ein anderer Sender Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Programm machen lässt und noch ein anderer Sender seine Moderatoren zu Persönlichkeiten macht. 1LIVE hat es in unseren Wortschatz geschafft. Der Begriff des Sektors ist auf den Radiosender zurückzuführen und bereits eine Marke für sich.

Ziel ist, dass der Sender oder seine Angebote in unserem umkämpften Medienzeitbudget auftauchen. Allerdings gilt deswegen nicht: Dabeisein ist alles. Redaktionen müssen (Online-)Angebote gemäß ihrer Zielgruppe schaffen. Bestenfalls funktionieren der terrestrische Empfang und die weiteren Angebote unabhängig voneinander, sodass eine bloße Verlängerung oder Abhängigkeit des anderen Verbreitungswegs vermieden wird. Schließlich hat jede Plattform eigene Spielregeln.

Hört auf, Podcasts zu machen!

Ein Negativbeispiel sind Podcasts, die von Sendeanstalten zu gerne ins lineare Programm übernommen werden. Schiwa Schleis Meinung zu Podcasts ist unmissverständlich: „Hört auf, Podcasts zu machen“ folgte auf „Nur weil ich Radio mache, kann ich noch keine Songs schreiben“. Podcasts werden ins OnAir-Programm übernommen, wenn sonst Lücken entstehen würden oder um die Kosten für die Produktion eines Podcast zu rechtfertigen. Doch das muss nicht sein. Die 1LIVE- und COSMO-Programmchefin schließt sowohl Wiederholungen passender Inhalte als auch unmoderierte Sendezeiten, um Gelder in andere Projekte stecken zu können, nicht aus.

Durch die Professionalisierung bestünden Radio-Programme lediglich aus Sprache, die durch Musik unterbrochen wird. Eine Professionalisierung, die wenig Spielraum für das Ungewisse lässt. Dass das zur nie endenden Markenbildung gehört, hat 1LIVE im Spätsommer bewiesen. Am 01. September 2022 moderierten Olli Briesch und Micha Imhof die Morningshow aus einer Gondel hängend an einem Kran aus 50 Metern Höhe. Nur durch bestandene Aufgaben kamen sie dem Erdboden wieder näher. Die Tatsache, dass die Challenge bis in andere Sendeblöcke dauerte, war zweitrangig. Personen, die an dem Tag 1LIVE einschalteten, hörten ein Programm, dass sie bei keinem anderen Sender geboten bekommen. Wer wollte, konnte in Essen den beiden beim Befreien aus ihrer misslichen Lage zuschauen; keine Voraufzeichnung.

Nur für das Publikum machen wir Programm.

~Schiwa Schlei, 17. Tutzinger Radiotage

Hierbei gilt: Nur in Maßen. Auf Dauer würden solche Events ihren Reiz verlieren. Daneben gibt es Risiken, die selbst Schiwa Schlei nicht eingehen möchte:

Ich bin erst seit Januar [2022] da. Da wechselt man nicht die Frühsendung aus.“ (Schiwa Schlei, 17. Tutzinger Radiotage)

Der eingrenzende Satz fiel, nachdem sie an die Sender appellierte, in echte Talente zu investieren. Häufig würden Talente mit etablierten Medienmachern gleichgestellt; dabei sei ein Mix gemeint. Jungen Medienmachern ist bereits durch eine längerfristige Zusammenarbeit und somit ein gesichertes Einkommen geholfen. Auch dürften Redaktionen nicht ab Tag eins eine positive Bilanz erwarten.

© Leon Ebersmann

Von Leon