Ständig sind Menschen auf der Flucht vor Vertreibung, Krieg und Katastrophen. Wenn marginalisierte Gruppen schon im Alltag auf Diskriminierung oder Hass stoßen, wird ihre Lage in einer Notsituation verstärkt. Für Flüchtende, die sich der queeren Community zugehörig fühlen, gibt es in einigen deutschen Städten die Rainbow Refugees. Das Darmstädter Rainbow Refugees-Projekt vom Verein vielbunt unter der Leitung von Stefan Kräh wurde mit dem auf 20.000€ dotierten Darmstädter Impuls-Preis der ENTEGA-Stiftung ausgezeichnet.

Von gemeinsamen Abendessen zum Beratungsangebot

Wie Stefan Kräh im Interview erzählt, startete er seine Projektarbeit im Jahr 2015, nachdem immer mehr Asylbewerber:innen aus Syrien, Pakistan oder Afghanistan in Deutschland angekommen waren. Damals lag der Schwerpunkt auf gemeinsamen Abendessen mit landestypischen Gerichten der Beteiligten, um trotz der räumlichen Distanz ein Heimatgefühl zu schaffen. Derweil ist Kräh überwiegend beratend aktiv. Er merkt an, dass die Beratung der Rainbow Refugees schon laufen kann, während die Asylsuchenden noch gar nicht in der Region Darmstadt angekommen sind. Auf Nachfrage, wie in solchen Fällen die Menschen von dem Hilfsangebot erfahren, hält er sich mit dem Stichwort „Google-Suche“ kurz.

Queer und auf der Flucht: (K)eine Symbiose

In den umliegenden Flüchtlingsunterkünften hängen Informationsplakate; übersetzt in bis zu 13 Sprachen. Dort kann Hilfe gebraucht werden, wenn es aufgrund der Queerness zu Auseinandersetzungen unter den Bewohner:innen kommt. Ein späterer Schritt ist die Suche eines Studien-, Ausbildungs- oder Jobplatzes; zunächst gilt es, als Flüchtling anerkannt zu werden.

Damit ein Mensch den Status als anerkannter Flüchtling in Deutschland erhält, ist die Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein wichtiger Schritt. Während Formalia das eine sind, ist die Aufarbeitung der Biografie jeder Person ein zweiter bedeutsamer Fokus. In vielen Ländern ist Homosexualität tabuisiert oder gar verboten. In Jamaika können verfolgte homosexuelle Handlungen zu einer bis zu zehnjährigen Haftstrafe führen. Im Iran ist die Todesstrafe möglich. Der Lesben- und Schwulenverband hat auf seiner Website in einer Weltkarte die Gesetze zur sexuellen Orientierung in der Welt grafisch aufbereitet.

Im besten Falle endet die Arbeit der Rainbow Refugees, sobald die Geflüchteten ein eigenständiges Leben in Deutschland führen können. Sprich: Status als anerkannter Flüchtling in Kombination mit guten Deutschkenntnissen sowie wahlweise einer Arbeitsstelle oder einem Studien- oder Ausbildungsplatz. Falls die Asylsuchenden professionelle Unterstützung wie Rechtsberatung oder eine Diagnose durch einen Facharzt, Psychologen oder Psychiater benötigen, könne Stefan Kräh lediglich den Kontakt vermitteln.

Wie Hilfesuchende zu Helfer:innen werden

Stefan Kräh berichtet, dass es zu Beginn ein personell stark aufgestelltes Team gab, das über die Jahre auf ein Minimum geschrumpft sei. Das sei kein Einzelphänomen der Rainbow Refugees. Vielmehr müssen zahlreiche Projekte mit einem Rückgang der Helfer:innen umgehen lernen, weil die ehrenamtliche Arbeit zu zeitaufwändig wird oder Mitglieder schlichtweg umziehen. Mittlerweile kooperieren die Rainbow Refugees mit thematisch passenden Organisationen wie der AIDS-Hilfe Darmstadt e.V. Zusätzlich können sie auf einen Freiwilligenpool früherer Klient:innen zurückgreifen, die nun als Sprachmittler:innen agieren. Allgemein werden Freiwillige gesucht, die als Sprachmittler zwischen Deutsch und Farsi, Kurdisch oder Arabisch fungieren möchten oder Menschen, die Fachwissen im Bereich Asyl oder soziale Arbeit haben.

Abgrenzung und Abstumpfung

Eine Besonderheit im Vergleich zu anderen Ehrenämtern sei die emotionale Belastung. Das sind jene Momente, wenn Kräh Asylsuchenden aus der Abschiebungshafteinrichtung Hessen mit Sitz in Darmstadt-Eberstadt begegnet und seine Hilfe auf die Nennung von Hilfsangeboten in den Heimatländern der Betroffenen beschränkt wird. Solche Momente würden begründen, weshalb eine emotionale Abgrenzung wichtig ist. Allerdings führe die regelmäßige Auseinandersetzung mit den Leiden von Menschen zu einer gewissen Abstumpfung.

Kräh fasst die Motivation für sein anhaltendes Engagement folgendermaßen zusammen: Die Welt allein könne er nicht verändern, doch er könne die Welt von Einzelnen verbessern. Ein zusätzlicher Motivator seien die herzerwärmenden Momente: Jene Momente, wenn sich Flüchtlinge erstmals zur Queers&Friends-Party Schrill und Laut in den Darmstädter Schlosskeller trauen und mit einem Kerl, der ihnen gefällt, ausgiebig knutschen oder erstmalig folgenden Satz aussprechen:

Ja, ich bin schwul.

Hinweis: Als Textvorlage diente ein Interview, das mein Radio-Kollege Jürgen Radestock für das Queer-Magazin Ganz schön queer beim nicht-kommerziellen Lokalfunk Radio Darmstadt führte. Das Interview mit Initiator Stefan Kräh kannst du auf allen bekannten Podcast-Plattformen hören oder höre die Podcast-Episode bequem im Webplayer.

Von Leon